Suchtpolitik statt Suchtmittelpolitik
Es gibt Substanzen die ein Suchtsyndrom auslösen können; als "Mittel" werden sie allerdings nicht eingesetzt.
Es gibt Substanzen die ein Suchtsyndrom auslösen können; als "Mittel" werden sie allerdings nicht eingesetzt.
1 | # Suchtpolitik |
2 | ## Präambel |
3 | Heute sind viele psychoaktive Substanzen verboten, was dazu |
4 | führt, dass harmlose Freizeitkiffer kriminalisiert werden, |
5 | Justiz und Polizei mit Drogendelikten beschäftigt sind, und |
6 | die organisierte Kriminalität Milliarden umsetzt. Eine |
7 | vernünftige Drogenpolitik muss bei den vier Pfeilern |
8 | Prävention, Therapie, Schadensminderung und Repression auf |
9 | Verhältnismässigkeit achten. In der aktuellen Politik |
10 | werden die Möglichkeiten einer liberalen Regelung nicht |
11 | ausgeschöpft. Dieser Zustand ist unserer Meinung nach |
12 | unhaltbar. Deshalb fordern wir eine liberalere |
13 | Drogenpolitik mit dem Ziel die Freiheit zu erhöhen und die |
14 | Kriminalität zu senken ohne eine Zunahme der |
15 | Schwerstabhängigen oder des Drogenkonsums Jugendlicher zu |
16 | bewirken. |
17 | ## Inhaltliche Darlegung |
18 | Die vier Säulen der Drogenpolitik, Prävention, Therapie, |
19 | Schadensminderung und Repression, sind in einer liberalen |
20 | Gesellschaft nur verhältnismässig, wenn sie den |
21 | gesellschaftlichen Wandel reflektieren. Im folgenden |
22 | versuchen wir Vorschläge in drei Aspekten von Drogenpolitik |
23 | zu unterbreiten, um diesem gesellschaftlichen Wandel |
24 | Rechnung zu tragen. |
25 | ## Typisierung nach Härtegrad |
26 | Die Vorstellung, dass sich Suchtmittel kategorisch in |
27 | gesellschaftlich akzeptierte Konsumgüter und geächtete |
28 | Drogen einteilen lassen, ist veraltet. Die Legalität |
29 | verschiedener Suchtmittel hat nur noch wenig mit der |
30 | gesellschaftlichen Realität bezüglich Suchtpotenzial, |
31 | direkter und indirekter Gesundheitsgefährdung und |
32 | tatsächlichem Konsum zu tun. Eine differenzierte |
33 | Typisierung von Suchtmittels mit entsprechender Regelung |
34 | ist notwendig. |
35 | ### Weiche Drogen |
36 | Der Besitz und Privatkonsum, sowie der Anbau und die |
37 | Herstellung zum Eigengebrauch, weicher Drogen, insbesondere |
38 | von Marihuana, soll legalisiert werden. Einfuhr, |
39 | gewerbsmässiger Anbau, Herstellung und Handel sollen durch |
40 | Gesetze reglementiert werden, wie dies Heute bereits bei |
41 | Alkohol der Fall ist. Dabei soll insbesondere dem |
42 | Jugendschutz Rechnung getragen werden. |
43 | ### Partydrogen und halluzinogene Drogen |
44 | Partydrogen und halluzinogene Drogen mit möglichst geringen |
45 | Gesundheitsrisiken sollen an entsprechenden Anlässen, die |
46 | nur Erwachsenen zugänglich sind, verkauft und konsumiert |
47 | werden dürfen. Dazu sollen Regeln für den sicheren Genuss |
48 | dieser Substanzen erlassen werden, die beispielsweise die |
49 | Anwesenheit eines Arztes vorschreiben können. Einfuhr, |
50 | Produktion und Handel mit diesen Substanzen soll |
51 | lizenzierten und staatlich kontrollierten Unternehmen |
52 | vorbehalten bleiben. |
53 | ### Harte Drogen |
54 | Harte Drogen wie Kokain und Heroin sollen als |
55 | verschreibungspflichtige Substanzen behandelt werden, und |
56 | nur gegen Rezept an Süchtige abgegeben werden. Die |
57 | kontrollierte Drogenabgabe dient primär der |
58 | Schadensminderung, weil eine Gesundheitsgefährdung durch |
59 | illegal beschaffte Suchtmittel, die vergleichbar mit |
60 | gefälschten Medikamenten keinerlei Qualitätsgarantien |
61 | haben, gemindert wird. Die Gesundheit von |
62 | Suchtmittelabhängigen ist ein Rechtsgut, das bei der |
63 | Verhältnismässigkeitsprüfung von Repression bisher |
64 | vernachlässigt wurde. Auch nicht vergessen werden dürfen |
65 | die Gesundheitskosten, die durch Behandlungen infolge der |
66 | Einnahme verschmutzter Suchtmittel entstehen. |
67 | ### Andere Süchte |
68 | Andere Süchte, beispielsweise nach Video- oder |
69 | Glücksspielen, dem surfen im Internet oder anderen |
70 | psychoaktiven Substanzen, die kein direktes körperliches |
71 | Gefährdungspotential haben, sollen im Rahmen von Präventiv- |
72 | und Schadenbegrenzungskampagnen angegangen werden. Verbote |
73 | und andere Repressionsmassnahmen sind aber abzulehnen. |
74 | ## Freie Entscheidungen gegen die Sucht |
75 | Eine liberale Gesellschaft versucht so weit wie möglich |
76 | Mechanismen der individuellen Entscheidungsfindung zur |
77 | Reglementierung von gesellschaftlich unerwünschten |
78 | Handlungen einzusetzen. Ein Individuum soll sich unter |
79 | gesellschaftlichen Rahmenbedingungen freiwillig zu einen |
80 | konformen Verhalten entscheiden. Der Mensch soll nicht das |
81 | Gefühl haben durch Zwänge und Verbote gelenkt zu sein. Viel |
82 | mehr sollen Entscheidungen auf Grund von individuellen |
83 | Kosten-Nutzen Überlegungen getroffen werden. Gerade in der |
84 | Drogentherapie ist die bewusste Entscheidung des Süchtigen |
85 | aufzuhören sehr viel effektiver als ein Zwang zu Abstinenz. |
86 | Insofern müssen die Faktoren gestärkt werden, die einem |
87 | Individuum zum freiwilligen Entscheid gegen den Konsum von |
88 | Suchtmitteln verhelfen. Im Folgenden zeigen wir |
89 | gesellschaftliche Mechanismen zur Stärkung individueller |
90 | Entscheidungskompetenzen auf, die zu einem freiwilligen |
91 | Verzicht auf Suchtmittel beitragen. |
92 | ### Zerschlagung des Wirkungskreises |
93 | Drogensucht-Kriminalität |
94 | Jede Sucht ist eine selbst verstärkende Rückkopplung, das |
95 | heisst die Suchthandlung führt direkt oder indirekt zu |
96 | einer Verstärkung des Bedürfnisses diese Handlung zu |
97 | wiederholen. Bei Drogensucht ist der Teufelskreis im |
98 | Zusammenhang mit Kriminalität besonders verheerend. |
99 | Drogensucht und Kriminalität bedingen sich gegenseitig. Aus |
100 | Drogensucht entsteht Kriminalität und aus Kriminalität |
101 | entsteht Drogensucht. Diese ausweglose Situation ist eine |
102 | entscheidendes Problem beim Versuch von Süchtigen sich |
103 | gegen Drogen zu entscheiden. Die Legalisierung von |
104 | Suchtmitteln unter Rahmenbedingungen kann diesen |
105 | Wirkungskreis zerschlagen. |
106 | ### Austrocknung des Drogensumpfes |
107 | Der Zusammenhang von Drogensucht und Kriminalität ist nicht |
108 | nur individuell zu betrachten, sondern auch was |
109 | organisierte Kriminalität betrifft. Die Illegalität von |
110 | Suchtmitteln macht es dem Organisierten Verbrechen erst |
111 | möglich daraus ein kriminelles Handelsgut zu machen. Sie |
112 | profitieren von Illegalitätsrenten, die vergleichbar mit |
113 | Monopolrenten dem Inhaber einer strukturellen Marktposition |
114 | erhebliche Profite garantieren. Ein historisches Beispiel |
115 | ist die Prohibition in den USA der 20er Jahre, wo das |
116 | Verbot des Alkoholkonsums einem gewissen Al Capone zu |
117 | Millionen und einem zweifelhaften Weltruhm verholfen hat. |
118 | Dieser Effekt der Illegalitätsrente, die es der |
119 | Organisierte Kriminalität gleichsam ökonomischen Akteuren |
120 | ermöglicht einen eigenen Markt zu schaffen und zu |
121 | besetzten, hat für das Individuum furchtbare Folgen. Nicht |
122 | um sonst spricht mach von „abhängigen“ Kunden als den |
123 | sichersten Kunden. Die Organisierte Kriminalität nützt ihre |
124 | Marktposition aus, um den Abhängigen eine Entscheidung |
125 | gegen die Droge zu verwehren. Die Legalisierung von |
126 | Suchtmitteln und der Aufbau eines staatlich reglementierten |
127 | Marktes bringt die Illegalitätsrente zum verschwinden. |
128 | Ökonomisch, und die Organisierte Kriminalität ist in dieser |
129 | Hinsicht ein ökonomisch orientierter Akteur, macht |
130 | Drogenkriminalität keinen Sinn. |
131 | ### Liberalisierung durch reglementierten Markt |
132 | Es stellt sich die Frage, wie der Staat den Umgang mit |
133 | Suchtmitteln organisieren soll, wenn grundsätzlich von |
134 | einem legalen Konsum ausgegangen werden soll. Sicher ist |
135 | die absolute Legalisierung keine Option. Den Umgang mit |
136 | weichen Drogen marktwirtschaftlich zu regeln ist heikel, da |
137 | ein Marktversagen droht. Es müssen also strikte |
138 | Rahmenbedingungen geschaffen werden. Hierbei geht es vor |
139 | allem um die staatliche Kontrolle des Marktes, was für |
140 | Qualität und Transparenz sorgen soll. Der staatlich |
141 | regulierte Suchtmittelverkauf muss die Qualität im Sinne |
142 | einer Gesundheitsgefährdung sicher stellen. Vergleichbar |
143 | mit dem Verkauf von Tabak und Alkohol müssen Standards zu |
144 | Produktion und Verkauf definiert werden. Hierbei darf der |
145 | Jugendschutz nicht vergessen werden. Was die Transparenz |
146 | betrifft, müssen dem Konsumenten die Kosten und |
147 | Konsequenzen unübersehbar aufgezeigt werden. Gut informiert |
148 | zu sein ist die Grundlage für eine frei und vernünftige |
149 | Entscheidung und das ist das Ziel einer effektiven |
150 | Drogenprävention. Deshalb schliessen sich Drogenprävention |
151 | und eine staatlich regulierte Suchtmittelmarkt nicht |
152 | gegenseitig aus. Für harte Drogen ist eine staatlich |
153 | organisierte Drogenabgabe vorzuziehen. Wie bei |
154 | verschreibungspflichtigen Substanzen muss die Abgabe |
155 | ärztlich kontrolliert sein. |
156 | ### Schadensminderung durch Entstigmatisierung |
157 | Die moralische Gleichsetzung von weichen und harten Drogen |
158 | hat zur Folge, dass es unmöglich ist für spezifische |
159 | Suchtprobleme je nach Situation Lösungen zu finden. Zu oft |
160 | kommt die Forderung nach der vollen Härte des Gesetzes mit |
161 | dem Aufruf den Anfängen zu wehren. Es mag der politischen |
162 | Profilierung dienen auf „Law and Order“ zu pochen, doch ist |
163 | es nicht Lösungsorientiert. Viel mehr hat es eine |
164 | Stigmatisierung zur Folge, die die individuelle |
165 | Suchtproblematik noch verstärkt. Die gesellschaftliche |
166 | Ächtung eines Konsumenten weicher Drogen beschleunigt die |
167 | Abwärtsspirale in die Sucht und vergrössert die Gefahr zu |
168 | harten Drogen zu greifen. Eine Entstigmatisierung der Sucht |
169 | und das Verständnis, dass es sich dabei um eine Krankheit |
170 | handelt, wirken schadensmindernd und erhöhen die Chance für |
171 | eine Therapie. |
172 | ### Sucht ist eine Krankheit, kein moralischer Makel |
173 | Die Entstigmatisierung der Sucht ist in erster Linie keine |
174 | politische sondern eine gesellschaftliches Forderung. |
175 | Politisch kann dies unterstützt werden, indem staatliche |
176 | Massnahmen der Drogenpolitik auf ihre stigmatisierende |
177 | Wirkung geprüft werden. Es muss vermieden werden, dass |
178 | präventive Kampagnen, Therapieangebote, Projekte zur |
179 | Schadensminderung und besonders repressive Massnahmen, |
180 | Sucht als einen moralischen Makel darstellen. In der Praxis |
181 | findet dieser Grundsatz bereits Anwendung, wie aus dem |
182 | dritten Massnahmenpaket des Bundes zur Verminderung des |
183 | Drogenproblems (MaPaDroIII) zu ersehen ist. Nun muss noch |
184 | die Politik zur Kenntnis nehmen, dass die |
185 | Entstigmatisierung der Sucht einen wichtigen Beitrag zur |
186 | Drogenpolitik leisten kann. Rhetorische Äusserungen wie |
187 | „Kampf den Drogen“ oder „Krieg gegen die Drogen“ mögen die |
188 | militärische Entschlossenheit demonstrieren, aber einen |
189 | Beitrag zur Lösung des Drogenproblems bieten sie nicht. |
190 | ### Suchtmittelkonsum im öffentlichen Raum |
191 | Dennoch darf nicht ignoriert werden, dass grosse Teile der |
192 | Bevölkerung nicht mit dem Konsum oder den Folgen von |
193 | Suchtmitteln konfrontiert werden wollen. Was für Alkohol |
194 | gilt, muss auch für andere Suchtmittel gelten, die die |
195 | kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigen. Das Führen eines |
196 | Fahrzeuges unter Drogeneinfluss ist strikt zu ahnden. |
197 | Hierfür müssen präzise Tests entwickelt werden, die |
198 | feststellen können, ob eine Person akut unter |
199 | Drogeneinfluss steht. Der Konsum von den heutzutage |
200 | sogenannten weichen Drogen soll hierbei in der |
201 | Öffentlichkeit unter den gleichen Auflagen möglich sein wie |
202 | der von Alkohol oder Zigaretten, der öffentliche Konsum |
203 | aller anderen psychotropen Substanzen mit einer |
204 | Ordnungsbusse belegt werden. |
205 | ## Zusammenfassung |
206 | Die oben dargelegte Drogenpolitik verfolgt zwei Hauptziele: |
207 | Die Stärkung der Freiheit des einzelnen in Entscheidungen, |
208 | die praktisch ausschliesslich für diese Person Konsequenzen |
209 | haben und die Reduktion der Kriminalität. Wir sind der |
210 | Meinung, dass mündige Personen selber entscheiden sollten, |
211 | welche Substanzen sie ihrem Körper zuführen. Wir sehen die |
212 | Gefahren einzelner Substanzen, wollen aber die staatlichen |
213 | Eingriffe in die Handlungsfreiheit des Einzelnen möglichst |
214 | klein halten. Deswegen sollen nur die gefährlichsten Drogen |
215 | unzugänglich sein. Da wir aber auch von der ärztlich |
216 | kontrollierten Abgabe dieser Drogen zu Therapiezwecken |
217 | überzeugt sind, ist es naheliegend diese als |
218 | verschreibungspflichtige Substanzen einzustufen. Die |
219 | Kriminalität rund um Drogen hat zwei Seiten: Die |
220 | Beschaffungskriminalität der Drogensüchtigen und Handel |
221 | durch die organisierte Kriminalität. Mit der |
222 | Teillegalisierung entziehen wir beidem die Grundlage. |
223 | Schwerstabhängige können sich gegen ein Rezept ihre Drogen |
224 | zu einem fairen Preis in der Apotheke besorgen, ohne dafür |
225 | stehlen, rauben oder dealen zu müssen. Die organisierte |
226 | Kriminalität wird das Interesse am Drogengeschäft |
227 | verlieren, wenn sich nur noch wenig Geld verdienen lässt. |
228 | Beides macht unsere Strassen sicherer uns spart |
229 | Strafverfolgungs- und Gerichts- und Gefängniskosten. Wir |
230 | wollen aber auch nicht ausser Acht lassen, dass Drogen für |
231 | Kinder und Jugendliche ungeeignet sind und diesen daher den |
232 | Zugang verwehren. Wenngleich der Jugendschutz im |
233 | Alkoholverkauf nicht perfekt ist, so ist er unseres |
234 | Erachtens nach das bessere Mittel als die Prohibition. |
235 | ## Einzelnachweise |
236 | Simone Ledermann, lic. rer. soc./ Prof. Dr. Fritz Sager |
237 | (2006): Die Drogenpolitik der Schweiz (MaPaDro III), Bern: |
238 | Bundesamt für Gesundheit (BAG). Online: |
239 | http://www.bag.admin.ch/shop/00035/00204/index.html?lang=de |
240 | |
241 | Eidgenössische Kommission für Drogenfragen (2006): Von der |
242 | Politik der illegalen Drogen zur Politik der psychoaktiven |
243 | Substanzen, Bern: Verlag Hans Huber. |
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